Seit dem Jahr 2005 forsche ich zu Leben und Werk von Harald Schultz-Hencke (1892-1953). Er, Arzt und Psychoanalytiker, ist für die deutschsprachige psychoanalytische Gemeinschaft eine
wichtige Figur. Beginnend in der Weimarer Republik, fortgesetzt in der nationalsozialistischen und dann in der Nachkriegszeit, hat er die Geschichte der deutschen Psychoanalyse mit der
Entwicklung einer eigenen psychoanalytischen Krankheitslehre, welche Elemente der Lehren von Sigmund Freud, Carl-Gustav Jung und Alfred Adler verband, wesentlich mitbestimmt. Seine
psychoanalytischen Auffassungen verstand Schultz-Hencke vor allem als Weiterentwicklung der Freud´schen Sichten, die er zu konkretisieren und mit einer zum Teil eigenen Terminologie zu
präzisieren suchte. Einzelaspekte der Lehren von Freud, Jung und Adler gewichtete Schultz-Hencke in ihrer Bedeutung für die Neurosenentstehung und –therapie neu, z.B. die Bedeutung der
Aktivität des Psychoanalytikers in der analytischen Therapie. Lange Zeit kristallisierte sich in seiner Person der zum Teil heftig geführte Kampf der Deutschen Psychoanalytischen Gesellschaft
und der Deutschen Psychoanalytischen Vereinigung um die Deutungshoheit im Bereich psychoanalytischer Theorie und Praxis. Hinzu kommt, daß die Haltung Schultz-Henckes gegenüber dem
Nationalsozialismus seit etwa Mitte der 1980er Jahre unterschiedlich wahrgenommen wurde und wird. Unbestritten dagegen ist das Verdienst Schultz-Henckes um die Etablierung der Finanzierung
ambulanter Psychotherapie durch die gesetzlichen und privaten Krankenkassen in der Bundesrepublik Deutschland.
Schultz-Hencke muß neben seiner Bedeutung für Psychoanalyse, Psychotherapie und Psychosomatik auch als eine bedeutende Führungsfigur innerhalb der Freideutschen Jugend (1913-1921), dem
bürgerlich geprägten Arm der deutschen Jugendbewegung, angesehen werden. Mein Buch „Harald Schultz-Hencke und die Freideutsche Jugend. Biografie bis 1921 und die Geschichte einer Bewegung“
beschreibt erstmals die herausgehobene Position Schultz-Henckes innerhalb der Freideutschen Jugend.
Mein Ende April 2025 erschienenes Buch „Harald Schultz-Hencke. Als Psychoanalytiker im Nationalsozialismus“ stellt ein solides Fundament an Wissen zu den Einstellungen und dem Verhalten von
Harald Schultz-Hencke gegenüber dem Nationalsozialismus zur Verfügung. Dabei wird klar: Schultz-Hencke war ein Gegner des Nationalsozialismus, ein Anti-Nationalsozialist, dabei kein
Widerstandskämpfer. Jene Erkenntnis dürfte die Kontroversen zum Werk wie zur Person Schultz-Henckes versachlichen und helfen, ihm wieder eine angemessene Stellung innerhalb der
psychoanalytischen Gemeinschaft zu ermöglichen.
Zukünftig werde ich neben eigenen Forschungen zu Schultz-Hencke mich vorrangig der Unterstützung von Forschungsbemühungen zuwenden, die durch andere Forscher mit Blick auf Schultz-Hencke
vorgenommen werden.
Dipl.-Psych. Dr. phil. Steffen Theilemann
Praxis für Psychotherapie und Psychoanalyse
Geschwister-Scholl-Str. 96
14471 Potsdam
Tel.: 0331 - 200 69 09